Stress bedeutet, in bestimmten Verhaltensmustern festzustecken

Thomas*, ein Coaching-Kunde, führt als CEO seit über einem Jahrzehnt erfolgreich ein mittelständisches Unternehmen. Unter seiner Leitung wurden neue Produkte entwickelt, neue Märkte erschlossen und die Organisationsstruktur kontinuierlich optimiert, was zu einem kontinuierlichen und stetigen Wachstum des Unternehmens geführt hat.

Aber Thomas lebt zwei Leben. Ein Geschäftsleben, in dem alles unter Kontrolle zu sein scheint, und ein Privatleben, in dem er ständig ums Überleben kämpft und ununterbrochen Energie verliert. Langsam überträgt sich seine private Erschöpfung auch auf seine Geschäftswelt. Er gibt zu, dass er ab und zu erst etwas trinken muss, bevor er nach Hause zu seiner Frau und seinen Kindern gehen kann. Nachts verwendet er häufiger Medikamente, um abschalten und schlafen zu können.

Wenn wir über einen längeren Zeitraum unter Stress leiden, wirkt sich dies auf unsere Produktivität aus und kann sogar zu langfristigen Gesundheitsproblemen führen, auch wenn wir es vielleicht nicht spüren. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Quelle des Stresses im privaten oder geschäftlichen Umfeld liegt. Die Folgen können weit über eine Beeinträchtigung unserer Leistung hinausgehen und massiv gravierender sein. Wie in ’Knowledge at Wharton’ veröffentlicht, kann Stress das Altern und die Sterblichkeit von CEOs massgeblich beeinflussen.

Alkohol ist keine Lösung. Es lässt dich nur das Problem vergessen

Christopher Ferry

Der Einsatz von Alkohol oder Medikamenten erscheint zunächst als einfaches und wirksames Mittel zur Stressreduktion. Obwohl einige glauben, dass Alkohol in kleinen Dosen helfen kann, Stress abzubauen, kann er auf lange Sicht kontraproduktiv sein und schließlich schädlich werden. (What Alcohol Does to a Stressed-Out Brain)

Alkohol oder Medikamente verschleiern für einen Moment Symptome an der Oberfläche, lösen aber nicht deren wahren Ursachen. Es ist, als würde man die blinkende Warnlampe des Tanklevels im Armaturenbrett eines Autos ausblenden, indem wir sie mit Klebeband abdecken. Der Treibstoff wird jedoch irgendwann ausgehen, auch wenn wir es nicht sehen wollen.

Das Ignorieren unserer Signale ist keine langfristige Lösung.

Der Grund für solch symptomatisches Verhalten liegt in Verhaltensmustern, die wir in unserer Kindheit oder Jugend unbewusst geschaffen haben. Dahinter liegen meist Abwehrstrategien, um Schmerzen und unangenehme Gefühle zu vermeiden. Und durch die regelmässige Wiederholung sind sie zu unbewussten, automatisierten Verhaltensmustern geworden, die jetzt nicht mehr nützlich sind.

Alle fest eingefahrenen Muster sind nicht anpassungsfähig oder biegsam. Die Wahrheit liegt außerhalb aller eingefahrenen Muster.

Bruce Lee

So war es auch bei Thomas. Durch imaginäre Übungen, die an seinem Unbewussten anzapften, wurden ihm längst vergessene Kindheitssituationen bewusst, in denen er starke Emotionen gespeichert hatte. Die Auflösung unterdrückter Gefühle ermöglichte es ihm, innere Spannungen zu lösen und seine Verletzungen zu erkennen und zu integrieren.

Seine gesteigerte Selbsterkenntnis und seine wachsende Erkenntnisfähigkeit für Situationen, in denen er auf extreme Weise in die fürsorgliche Rolle und damit in sein Verhaltensmuster der Anpassung auf Kosten eigener Bedürfniserfüllung zurückfiel, ermöglichten es ihm, aus diesen bewusst herauszutreten und andere Rollen einzunehmen bzw. zu entwickeln.

Das Ausbrechen aus starren Verhaltensmustern kann auf unterschiedliche Weise erreicht werden.

  • Regelmässig kurze Pausen einlegen. Dies ist nicht nur wichtig, um unser Energieniveau aufrechtzuerhalten, es ermöglicht uns auch einen Moment, anzuhalten und einen inneren Abstand zu nehmen. Sogar unglaublich beschäftigte Menschen können Phasen von Ruhezeiten kultivieren, da kleine Pausen von 2 bis 5 Minuten bereits effektiv sind, um zu reflektieren, mit welcher Rolle oder welchem Muster wir derzeit identifiziert sind und die Wahl einer alternativen Rolle zu ermöglichen.
  • Ruhephasen in den Tag integrieren. Neuere Studien zeigen, dass das bewusste Einbauen von Zeit für Stille oder sogar ein Nickerchen in den Arbeitsalltag, unser Nervensystem regeneriert, bei der Erhaltung unseres Energie-Niveaus hilft und unseren Geist konditioniert, um anpassungsfähiger und reaktionsfähiger zu sein für die komplexen Umgebungen, in denen so viele von uns jetzt leben, arbeiten und führen. (the busier you are, the more you need quiet time)
  • Wenn wir über unsere Muster hinauswachsen wollen, müssen wir ein tieferes Verständnis dafür schaffen, was deren Ursachen sind. Nur so können wir bewusst neue Wege ausprobieren, neue Verhaltensstile üben und unser Spektrum an Verhaltensmöglichkeiten erweitern. Dieser Prozess beginnt damit, dass wir uns dieser spezifischen Rollen bewusst werden, die wir kontinuierlich, aber unbewusst einnehmen. Von hier aus können wir weiterhin die Quellen dieser Muster verstehen, warum wir sie geschaffen haben und wovor sie uns zu schützen versuchen. Dies verbessert unsere Fähigkeit, unterschiedliche Reaktionen zu berücksichtigen, und erhöht unsere emotionale Intelligenz. (Why Some People Get Burned Out and Others Don’t)

Sechs Monate nachdem Thomas mit seinem Prozess begonnen hatte, bemerkte er nachhaltige Ergebnisse. Er nahm sich regelmäßig und an festen Terminen in seinem Kalender Zeit für sich, fühlte sich wertgeschätzter und hatte mehr Energie. Zu Hause konnte er sich besser verständigen und für seine eigenen Bedürfnisse einstehen, und die meiste Zeit konnte er nun ohne Medikamente schlafen.

Jeder von uns hat in seiner Kindheit gewisse schmerzhafte Situationen oder unangenehme Erfahrungen gemacht, auch wenn wir eine schöne Kindheit hatten oder uns an einen bestimmten Anlass oder eine schwierige Situation nicht mehr erinnern können. Es ist eine menschliche Reaktion, dass wir diese Erfahrungen vergessen und in unser Unbewusstes verdrängen. Hier sind sie vielleicht aus dem Fokus, aber leider nicht weniger wirksam.

Die innere Arbeit schafft Alternativen zu unseren Verhaltensmustern.

Stress bedeutet, in Mustern festzustecken und entsprechend nicht in der Lage zu sein, mit der Situation umzugehen. Muster sind aufgrund psychischer Verletzungen entstanden, und je stärker sie sind, desto einprägsamer und manchmal leider auch schmerzhafter waren unsere Erfahrungen.

Unsere Wunden sind jedoch die Schlüssel zu den Türen unserer persönlichen Entwicklungswege. Indem wir den Zugang zu diesen finden, können wir unser schlummerndes Potenzial entwickeln, authentischer werden und zu dem wachsen, was wir wirklich sind.

* Name wurde geändert